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Übung macht (k)einen Meister

Wie psychotherapeutische Erfahrung und Behandlungserfolg zusammenhängen

Thema

Wissenschaft & Forschung

Datum

19.02.2024

Zielgruppe

PiA/Psychotherapeut*innen in Ausbildung · PtW/Psychotherapeut*innen in Weiterbildung · Studierende

Junge Psychotherapeut*innen berichten regelmäßig, dass sie in der Therapie von Patient*innen auf ihr junges Alter angesprochen werden und dass mitunter damit einhergehende Zweifel an einer erfolgreichen Behandlung geäußert werden. Gleiche Sorgen zeigen sich auch unter den Ausbildungskandidat*innen: es herrschen Zweifel über die eigene Kompetenz. Die Ergebnisse meiner Masterarbeit zu der Frage, wie Berufserfahrung und Behandlungserfolg zusammenhängen, zeigen jedoch, dass PiA mit supervidierten Behandlungen Patient*innen durchaus sehr gut helfen können. Dies erscheint insbesondere wichtig vor dem Hintergrund der multiplen Stressfaktoren, die mit der Ausbildung verknüpft sind (exemplarisch seien hier neben den Anforderungen der therapeutischen Arbeit selbst finanzielle Sorgen sowie hohe Arbeitsbelastung durch Supervision und Theorieseminare genannt).

In vielen Tätigkeitsfeldern (z. B. bei Testpilot*innen, Mathematiker*innen und Buchhalter*innen; Shanteau, 1992) konnten wissenschaftliche Belege für eine Verbesserung der beruflichen Fertigkeiten und vermehrte berufliche Erfolge mit zunehmender Berufserfahrung gefunden werden. Doch gilt dies auch für die Berufsgruppe der Psychotherapeut*innen? Bisherige Befunde deuten darauf hin, dass dies in der Psychotherapie nicht der Fall zu sein scheint (Goldberg, Rousmaniere, et al., 2016). In dieser Studie nutzten die Autoren längsschnittliche Multilevel-Modelle, in denen die Entwicklung der einzelnen Therapeut*innen über die Zeit und der Verlauf des Befindens ihrer Patient*innen verfolgt werden konnte. Die Ergebnisse zeigen einen kleinen, jedoch signifikanten Effekt, der darauf hinweist, dass sich die Leistung von Psychotherapeut*innen im Verlauf eher verschlechtert (d = −0.01 Verschlechterung in den durchschnittlichen Behandlungsergebnissen pro Jahr, p = .004; Goldberg, Rousmaniere, et al., 2016).

Im Rahmen meiner Masterarbeit habe ich mich mit der Frage beschäftigt, wie die Berufserfahrung von Psychotherapeut*innen in Ausbildung? und der Behandlungserfolg zusammenhängen. Dazu wurden Daten der Routineevaluation von 3432 Patient*innen untersucht, die von 241 Therapeut*innen zwischen 2002 und 2022 in der Poliklinischen Institutsambulanz der Universität Mainz behandelt wurden. In dieser Ambulanz werden Patient*innen mit allen Störungsbildern mit kognitiver Verhaltenstherapie behandelt.

Doch - wie misst man eigentlich psychotherapeutische Erfahrung und den Behandlungserfolg? Idealerweise würden wir jegliche beruflichen Schritte der Therapeut*innen kennen und könnten dann anhand verschiedener Kriterien, die bereits erworbene Erfahrung klassifizieren. Im Rahmen der Masterarbeit konnte jedoch weder die Menge noch der Inhalt vorheriger Berufserfahrung erfasst werden. Wir wissen deshalb schlussendlich nicht, ob ein*e Ausbildungskandidat*in im „Psychiatriejahr“ (praktische Tätigkeit I) mit wenigen Patient*innen mehrfach pro Woche Psychotherapie gemacht hat oder viele Patient*innen für jeweils wenige Krisensitzungen gesehen hat. Und wir wissen ebenfalls nicht, ob eine Person vielleicht mehrere Jahre lang in anderen Kontexten (Beratungsstellen, etc.) gearbeitet und dort für die Psychotherapie hilfreiche Fähigkeiten erlernt hat. Dadurch mussten wir auf ungenauere Maße zurückgreifen, indem wir den relativen Erfahrungszuwachs während der Zeit in der Ambulanz betrachtet haben. In den vorliegenden Daten konnte dies über zwei Varianten umgesetzt werden: Es konnte sowohl die vergangene Zeit seit der ersten Behandlung in der Ambulanz als auch die Anzahl der in der Ambulanz behandelten Fälle betrachtet werden.

Ähnlich vielschichtig ist die Auswahl eines Kriteriums für den Behandlungserfolg. Auch diesen haben wir auf verschiedene Weisen operationalisiert: Wir konnten die zahlenmäßige Veränderung der generellen Psychopathologie (also der allgemeinen Krankheitssymptome) mit Hilfe des Brief Symptom Inventory (BSI; Franke, 2000) betrachten. Für die klinische Praxis erscheinen darüber hinaus aber vor allem Response und Remission, also das Ansprechen auf die Therapie bzw. Symptomfreiheit bei Therapieende, als wichtige Maße. Beide wurden jeweils über den Reliable Change Index (Jacobson & Truax, 1991) sowie über die prozentuale Veränderung berechnet (Hiller & Schindler, 2011).

Die Ergebnisse sind eindeutig und können im Einzelnen in einer auf die Masterarbeit aufbauenden Studie im Journal of Counseling Psychology (Germer et al., 2022) eingesehen werden: Insgesamt zeigten sich über alle Maße hinweg keinerlei signifikante Zusammenhänge zwischen der bisherigen therapeutischen Erfahrung und dem Therapieerfolg. Exemplarisch sei hier die Vorhersage des Global Severity Index des BSI genannt, die über lineare Multilevel-Analysen berechnet wurde. Weder bei der Vorhersage über die Anzahl an Behandlungsfällen (estimate -0.0003, p = .860) noch bei der Vorhersage über die Zeit der Tätigkeit in der Ambulanz (estimate 0.00002, p = .421) zeigten sich signifikante Zusammenhänge mit dem Therapieerfolg. Vorläufige explorative Ergebnisse deuten darauf hin, dass Psychotherapeut*innen mit steigender Erfahrung den gleichen Therapieerfolg in etwas weniger Therapiesitzungen erreichen. Hierzu wurden die Anzahl von Therapiesitzungen zwischen den frühen Behandlungsfällen (Fälle 1-5) mit den späteren Fällen (Fälle 6 und später) verglichen. Dabei zeigte sich eine signifikant geringere Sitzungsanzahl bei den späteren Therapien (t (3429) = 10.93, p ≤ .001).

Vor dem Hintergrund, dass Psychotherapeut*innen in Ausbildung (PiA) einen Teil der ambulanten Versorgung erbringen, kommt der Frage nach der Qualität von Behandlungen durch Ausbildungskandidat*innen eine besondere Bedeutung zu. Die vorliegenden Ergebnisse zeigen, dass Ausbildungsambulanzen einen qualitativ hochwertigen Beitrag zur psychotherapeutischen Versorgung liefern - auch Therapeut*innen mit weniger Berufserfahrung können gleichwertige Behandlungsergebnisse wie bereits länger praktizierende Kolleg*innen erzielen. Die Ergebnisse bedeuten jedoch nicht, dass Psychotherapeut*innen im Laufe der Ausbildung oder ihres Berufslebens keine Verbesserung ihrer Kompetenzen erlangen. So konnten Weck et al. (2021) zeigen, dass regelmäßiges Feedback die therapeutischen Kompetenzen steigerte, sich dies jedoch nicht in verbesserten Behandlungsergebnissen niederschlägt.

Welche Implikationen ergeben sich aus diesen Ergebnissen?
Vor dem Hintergrund langer Wartezeiten bei niedergelassenen Therapeut*innen und häufig etwas kürzerer Wartezeiten in den Ausbildungsambulanzen aufgrund der Vielzahl an dort arbeitenden Therapeut*innen kann man Patient*innen vermitteln, dass sie keinen Kompromiss (im Sinne von „kürzere Wartezeit, dafür „nur“ eine Ausbildungstherapie“) eingehen, sondern eine qualitativ hochwertige Therapie erhalten.

Insgesamt wird jedoch weitere Forschung benötigt, um die Mechanismen der Psychotherapie besser zu verstehen und herauszufinden, welche (über die bisher bekannten hinaus) Faktoren die Therapie effektiv machen, um dies auch in die bisherige Ausbildung und künftige Weiterbildung zu integrieren.

Quellen:

Franke, G. H. (2000). BSI. Brief Symptom Inventory—Deutsche Version [Manual]. Beltz.

Germer, S., Weyrich, V., Bräscher, A.-K., Mütze, K., & Witthöft, M. (2022). Does practice really make perfect? A longitudinal analysis of the relationship between therapist experience and therapy outcome: A replication of Goldberg, Rousmaniere, et al. (2016). Journal of Counseling Psychology69(5), 745-754. https://doi.org/10.1037/cou0000608

Goldberg, S. B., Rousmaniere, T., Miller, S. D., Whipple, J., Nielsen, S. L., Hoyt, W. T., & Wampold, B. E. (2016). Do psychotherapists improve with time and experience? A longitudinal analysis of outcomes in a clinical setting. Journal of Counseling Psychology, 63(1), 1–11. doi.org/10.1037/cou0000131

Hiller, W., & Schindler, A. (2011). Response und Remission in der Psychotherapieforschung. PPmP-Psychotherapie· Psychosomatik· Medizinische Psychologie, 61(03/04), 170–176. doi.org/10.1055/s0030-1255040

Jacobson, N. S., & Truax, P. (1991). Clinical significance: A statistical approach to defining meaningful change in psychotherapy research. Journal of Consulting and Clinical Psychology, 59(1), 12–19. https:// doi.org/10.1037/0022-006X.59.1.12

Shanteau, J. (1992). Competence in experts: The role of task characteristics. Organizational Behavior and Human Decision Processes—Experts and Expert Systems, 53(2), 252–266. doi.org/10.1016/0749-5978(92) 90064-E

Weck, F., Junga, Y. M., Kliegl, R., Hahn, D., Brucker, K., & Witthöft, M. (2021). Effects of competence feedback on therapist competence and patient outcome: A randomized controlled trial. Journal of Consulting and Clinical Psychology, 89(11), 885–897. https://doi.org/10.1037/ccp0000686

Autoreninformation:
Sylvan Germer ist Psychologe (M.Sc.) in psychotherapeutischer Ausbildung und Mitarbeiter der Abteilung für Klinische Psychologie an der Universität Mainz. Darüber hinaus leitet er ein Projekt zur Entwicklung einer digitalen Patient*innenakte für die Poliklinische Institutsambulanz in Mainz.

Sylvan Germer
Universität Mainz
Abteilung für Klinische Psychologie, Psychotherapie und Experimentelle Psychopathologie
Wallstraße 3
55122 Mainz
Tel.: +49 (0)6131 - 39 39126
E-Mail: sgermer@students.uni-mainz.de