Aktuelles
Psychotherapie für vulnerable Gruppen: Kooperativ versorgen!
„Wir müssen den Zugang vulnerabler Gruppen zur psychotherapeutischen Versorgung verbessern und die Möglichkeiten einer kooperativen Versorgung fördern“, sagte Gebhard Hentschel, Bundesvorsitzender der Deutschen PsychotherapeutenVereinigung (DPtV), zur Eröffnung des DPtV-Symposiums 2025. Über 800 Teilnehmer*innen online und in Berlin folgten den Vorträgen und Diskussionen zum Thema „Psychotherapie für vulnerable Gruppen: Kooperativ versorgen!“ Die Moderation übernahm Dr. Josepha Katzmann (DPtV-Bundesvorstand).
Psychotherapie für Menschen mit Autismus: Viele Hürden
Neue Psychotherapieansätze für Menschen mit Autismus stellte Prof. Dr. Isabel Dziobek (Humboldt-Universität Berlin) vor, die neben der klassischen kognitiven Verhaltenstherapie auch digitale Interventionen und neue KI-Technologien beinhalteten. „Menschen mit Autismus sind in Deutschland therapeutisch unzureichend versorgt“, betonte Dziobek. „Es gibt für Erwachsene nur zwölf spezialisierte Zentren in Deutschland mit sehr langen Wartelisten – und die meisten davon machen ausschließlich Diagnostik.“ In der psychotherapeutischen Ausbildung werde Autismus leider nur wenig berücksichtigt.
Suchtbehandlung in der ambulanten Praxis
Um eine gute Behandlung von Suchtkranken in einer psychotherapeutischen Praxis ging es im Vortrag von Dipl.-Psych. Dr. Tim Pfeiffer (Psychologischer Psychotherapeut, niedergelassen in München). „Die häufig parallel vorliegenden Störungen machen die Behandlung anspruchsvoll“, sagte Pfeiffer. Im besten Fall erfolge die Behandlung in Kooperation mit anderen Unterstützungsmaßnahmen wie etwa Suchtberatungsstellen oder Schuldnerberatungen. „Eine gute Behandlung von Konsumstörungen sollte möglichst früh erfolgen“, betonte Pfeiffer außerdem.
Psychotherapie mit geistig behinderten Menschen
Dipl.-Psych. Stefan Meir (Stiftung Gesellschaftliche Integration von Menschen mit Behinderungen) berichtete von der Psychotherapie mit geistig behinderten Menschen. „Die Personengruppe ist sehr heterogen – die individuellen Entwicklungsprozesse sind daher schwer zu typisieren“, sagte Meir. „Sie haben oft Probleme, ihre Erfahrungen zu fassen und zu benennen. Rollenspiele können helfen, Geschehen nachzuvollziehen – auch die gestalterische Darstellung von Gedanken, Emotionen und Erlebnissen ist hilfreich.“ Es sei wichtig, dass eine positive Beziehungsgestaltung im Vordergrund steht und der/die Psychotherapeut*in sich selbst als Modell versteht.
Versorgung vulnerabler Gruppen: Vertragsärztliche Möglichkeiten
Welche Möglichkeiten hat die psychotherapeutische Praxis bei der Behandlung vulnerabler Gruppen? Dr. Markus Plantholz (Fachanwalt für Medizinrecht) umriss die juristischen Grundlagen für Sonderbedarfszulassung, Ermächtigung und Komplexversorgung. „Ohne großes Aufsehen wurde durch Verordnung vom 14. Februar 2025 ein wichtiger neuer Zugang zur Versorgung in § 31 Abs. 1 Satz 3 Ärzte-ZV geschaffen für eine ambulante psychotherapeutische und psychiatrische Versorgung von Personen, die intellektuell beeinträchtigt sind, unter einer bestehenden Suchterkrankung leiden oder aufgrund eines erheblich eingeschränkten Funktionsniveaus sozial benachteiligt sind”, so der Justitiar der DPtV.
Verordnung, Wirkung, Datenschutz
Die in der Ärzte-Zulassungsverordnung neu vorgesehene Ermächtigung zur Versorgung vulnerabler Gruppen war auch ein großes Thema der Podiumsdiskussion mit Dr. Silke Heinemann (Leiterin der Abteilung Medizin- und Berufsrecht, Prävention im Bundesministerium für Gesundheit), Dr. Sibylle Steiner (Vorstand der Kassenärztlichen Bundesvereinigung), Anne-Kathrin Klemm (Vorständin BKK Dachverband), Dipl.-Psych. Nils Greve (Vorsitzender Dachverband Gemeindepsychiatrie), Dipl.-Psych. Dr. Tim Pfeiffer, Dipl.- Psych. Gebhard Hentschel und der Moderatorin Sabine Rieser. Gebhard Hentschel kritisierte die Diskrepanz zwischen Richtlinien-Vorgaben und wissenschaftlichen Leitlinien: „Bei Suchterkrankungen ist die Forderung nach Abstinenz nach zehn Sitzungen überholt.“ Dr. Pfeiffer kritisierte eine mangelnde Vergütung und einen begrenzten Handlungsspielraum bei der Versorgung vulnerabler Patient*innen: „Ich habe also einen Patienten mit einer Konsumstörung. Wenn ich mich eine Stunde mit seinem Arzt und Schuldnerberater zusammensetze, ist das sehr sinnvoll. Aber das wird nicht vergütet und ist für mich damit nur begrenzt möglich.“ Nils Greve stellte sein Innovationsfonds-Projekt zur gemeindepsychiatrischen Versorgung vulnerabler Gruppen vor. Anne-Kathrin Klemm betonte: „Man sollte überlegen, wie sinnvoll ein immer kleinteiligerer EBM noch ist. Und man sollte Versorgungskapazitäten transparenter machen.“ Dr. Steiner betonte: „Das Thema Koordination und Kooperation kann bei der neuen Ermächtigung kein Beiprodukt des persönlichen Idealismus sein. Wenn Innovationsfonds-Projekte in die Regelversorgung überführt werden sollen, muss die Finanzierung dafür gewährleistet sein.“