Aktuelles

  • Veröffentlichungsdatum 19.02.2024
  • Ort Leverkusen
  • Art Meldung

Infomail Nr. 04/2024

Modellregion für Richtlinie zur Qualitätssicherung in der ambulanten Psychotherapie – „Damoklesschwert“ jetzt leider in NRW gefallen

Liebe Kolleg*innen,

am 18.01.2024 hat der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) die Einführung einer Qualitätssicherungs-Richtlinie für psychologische Psychotherapeut*innen in der ambulanten kassenärztlichen Versorgung beschlossen, die seit 2020 gesetzlich vorgesehen ist (vgl. Meldung des DPtV-Bundesverbandes vom 18.01.2024: „Qualitätssicherung ohne wissenschaftliche Basis“). Hier können Sie bei Interesse selbst einen Eindruck der Sitzung des G-BA gewinnen, in welcher der Beschluss gefasst wurde. (Klicken Sie auf das Video zur 134. Öffentlichen Sitzung des G-BA am 18.01.2024. Der für uns relevante TOP 8.4.5 ist in der über zweistündigen Sitzung in der Zeit von 1:14 bis 1:51 zu sehen).

Zunächst soll das Verfahren über mehrere Jahre mit Beginn zum 1.1.2025 in einem Modellversuch erprobt werden, bevor es nach einer Evaluation – auf das gesamte Bundesgebiet ausgeweitet werden soll. Bedauerlicherweise sind alle psychologischen und ärztlichen Psychotherapeut*innen in der KV Nordrhein Teil dieses Modellvorhabens. In beiden nordrhein-westfälischen KVen wird nun begonnen, die Richtlinie konkret umzusetzen.

Die QS-Richtlinie sieht vor, alle Praxen mit einer Zulassung für Psychotherapie bei Erwachsenen in Nordrhein-Westfalen zu beteiligen. Begründet wird der Verzicht auf eine Stichprobenauswahl mit der angeblich zu geringen Fallzahl in der Psychotherapie.  So erklärt sich möglicherweise auch, dass nicht kleinere Bundesländer zur Modellregion wurden. Die Entscheidung für die Erprobung in einer Modellregion ist für unseren Berufsstand insofern zumindest ein Teilerfolg, als dass die Alternative vorgesehen hätte, die QS-Richtlinie direkt in ganz Deutschland einzuführen.

Diese Praxen müssen laut Richtlinie nach Beendigung einer psychotherapeutischen Behandlung (sofern sie nach dem 01.04.2024 begonnen wurde) Fragen zur Behandlung beantworten, die die Qualität der Behandlung erfassen sollen. Es handelt sich dabei um 101 Fragen, die z. B. erfassen, ob eine Aufklärung vor Beginn der ambulanten Psychotherapie stattgefunden hat. Zur Übermittelung der Fragen kann das Praxisverwaltungssystem dienen, es ist aber auch eine andere Softwarelösung denkbar. Außerdem werden die Patient*innen nach Abschluss der Behandlung durch die sog. Versendestelle der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (nicht durch die Praxen selbst) angeschrieben und gebeten, einen Fragebogen mit ca. 40 Fragen (der Fragebogen liegt derzeit noch nicht in seiner endgültigen Fassung vor) zur Behandlung zu beantworten. Die Patient*innen sind frei in der Beantwortung des Fragebogens und dürfen diese ablehnen – die Psychotherapeut*innen hingegen sind verpflichtet, die erfragten Daten zu übermitteln. Insofern stimmen die Patient*innen auch indirekt automatisch bei Beginn der Behandlung zu, dass Daten auf Grundlage der QS-Richtlinie aus der Behandlung weitergeleitet werden. Sanktionen bei Nicht-Übermittelung sind zumindest langfristig ähnlich den TI-Sanktionen möglich. Die vorläufigen Versionen der Fragenkataloge können Sie hier und hier (S. 198ff) einsehen. Die psychotherapeutische Praxis erhält dann eine Auswertung ihrer Angaben, anhand derer sich die Qualität der Behandlung ablesen lassen soll.

In den letzten Wochen erreichten uns zahlreiche Anfragen im Rahmen der Mitgliederberatung. Wir teilen Ihre Irritation über die Einführung der Richtlinie sowie die berechtigte Kritik daran. Die entwickelten Fragen entbehren aus unserer Sicht einer wissenschaftlichen Grundlage, die es bräuchte, um tatsächlich Qualität in der ambulanten psychotherapeutischen Behandlung zu erfassen. Zudem ist es mehr als unverständlich, wenn in Zeiten von hohem Behandlungsbedarf, der bereits jetzt auf zu geringe Kapazitäten auf Seiten der psychotherapeutischen Behandler*innen trifft, eine Richtlinie eingeführt wird, die über hohen bürokratischen Aufwand weitere Zeit der Behandler*innen in Anspruch nimmt, die dadurch nicht der Versorgung der Patient*innen zur Verfügung stehen kann.

Unsere berufspolitischen Vertreter*innen haben die Einführung des Verfahrens, die 2020 durch den damaligen Gesundheitsminister Jens Spahn in das Gesetz zur neuen Weiterbildung eingeschleust wurde, von Beginn an sehr kritisch kommentiert und neben den oben genannten Kritikpunkten immer wieder auf die daraus entstehenden Gefahren für die psychotherapeutische Beziehung – und damit Versorgung! – hingewiesen. Neben dem konstanten Einsatz in verschiedenen Gremien wurden wiederholt Resolutionen erarbeitetet und verabschiedet (s. z. B. in der Psychotherapeutenkammer NRW hier) und wir haben uns öffentlich positioniert, 2021 sogar in einer Sonderausgabe der Verbandszeitschrift Psychotherapie Aktuell. Leider waren unsere stetigen Bemühungen, die Einführung des Verfahrens so zu gestalten, dass es tatsächlich Qualität sichert und nicht die Versorgung behindert, nicht erfolgreich.

Wir sehen unsere Aufgabe als Berufsverband jetzt in zwei Bereichen: Zum einen möchten wir Sie wie gewohnt bestmöglich über den Fortgang der Planung und darüber, was auf Sie in Ihren Praxen zukommt, informieren. Dies wird dann erfolgen, wenn auch wir einen hinreichend sicheren Wissensstand über die Umsetzung der Richtlinie in der KV Nordrhein haben, und zwar über die bekannten Kanäle (InfoMail, Homepage, Verbandszeitschrift etc.).

Zum anderen sind wir – anders als z. B. bei der aus unserer Sicht sehr sinnvollen Richtlinienreform, die 2017 in Kraft getreten ist – bei der QS-Richtlinie gefordert, eine politische Haltung zum weiteren Vorgehen zu entwickeln. Dies möchten wir – trotz der gebotenen Eile – in Ruhe und ausgewogen tun, um Ihre Interessen bestmöglich zu vertreten. Für die Entwicklung dieser Haltung ist der Kontakt zu Ihnen und Ihre Meinung für uns essentiell. Wir möchten Sie deshalb zu einem Austausch per Video einladen. Hierzu wird gesondert eine weitere Infomail versendet, die den Termin und eine Anmeldemöglichkeit über einen Zoom-Link enthält. Wir freuen uns auf einen Austausch und verbleiben bis dahin

mit herzlichen Grüßen
Ihr Landesvorstand Nordrhein der DPtV
Andreas Pichler • Dorothea Bodmann • Dr.  Josepha Katzmann • Dr. Miriam Köhler • Julia Leithäuser • Barbara Lubisch • Sascha Reiners • Olaf Wollenberg • Martin Zange