Hintergrund
Depressive Störungen sind häufig in der Gesellschaft und stellen eine erhebliche Krankheitslast dar. Mittlerweile gibt es neben der Behandlung mit ambulanter Psychotherapie auch evaluierte Online-Hilfsmittel für Patienten mit einer Depression. Es sind Hilfsmittel, die sich mglw. zur Verringerung der depressiven Symptomatik eignen, da beispielsweise bestimmte psychoedukative Inhalte, Entspannungsübungen, Techniken zur Aktivitätssteigerung oder kognitiven Restrukturierung im Online-Format vermittelt werden können. Es war bis vor kurzem im deutschen Gesundheitssystem kaum oder nicht bekannt, ob ein technisch „ausgereiftes“ Online-Hilfsmittel, wenn es als ergänzendes Hilfsmittel zur regulären Psychotherapie eingesetzt wird, eine zusätzliche Wirkung im Vergleich zu der regulären Psychotherapie bei Depressionen haben kann.
Methodik
Es wurden Patientinnen und Patienten (N = 98) über 18 Jahre mit einer unipolaren Depression in psychotherapeutischen Behandlungen von Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten im Laufe ihrer ersten Sitzungen für diese Studie gewonnen und innerhalb der an der Studie teilnehmenden Therapeutenschaft auf eine von zwei aktiven Behandlungsbedingungen randomisiert. Die eine Hälfte der Patienten erhielt reguläre und regelmäßige Psychotherapie, die andere erhielt ebenso reguläre und regelmäßige Psychotherapie plus das Online-Hilfsmittel "Deprexis". Die depressiven Symptome wurden vorab mit dem Beck Depressions-Inventar (BDI-II) und nach 12 Wochen und 6 Monaten erneut erhoben. Sekundär wurden Angstsymptome, somatische Symptome wie auch die Lebensqualität nach 12 Wochen und 6 Monaten im Follow-up evaluiert. Die Studie umfasste zudem eine Bewertung der therapeutischen Allianz nach 6 und 12 Wochen. Die wissenschaftliche Studienleitung und Datenerhebungen erfolgten durch Prof. Dr. Thomas Berger (Universität Bern) sowie Prof. Dr. Dr. Andreas Maercker (Universität Zürich).
Ergebnisse mit Einschränkungen
Vorab ist einschränkend festzuhalten: Die Studie hatte letztlich eine kleinere als die ursprünglich geplante Stichprobengröße, zudem war die Dropout-Rate bei der Nachuntersuchung nach 6 Monaten hoch. Es zeigte sich dennoch in unserer Untersuchung, dass die Kombination von Psychotherapie mit dem angewendeten Online-Hilfsmittel „Deprexis“ signifikant effektiver war als die alleinige Psychotherapie, dies gemessen nach einem 12 Wochen-Einsatz, mit mittleren Effektstärken bezüglich des Unterschieds zwischen den beiden Gruppen bei depressiven Symptomen (primäres Outcome; Cohen's d = 0,51) und kleinen bis mittelgroßen Effektstärken bei sekundären Outcomes (Cohens d = 0,07-0,55). Während in der Psychotherapie-allein-Gruppe eine durchschnittliche Senkung des BDI-II Wertes von ca. 5 Punkten über 12 Wochen beobachtet wurde, senkte sich dieser Wert in der Online-Hilfsmittel Gruppe um durchschnittlich ca. 10 Punkte. Es wurden insgesamt keine Nebenwirkungen beobachtet, z. B. keine niedrigere therapeutische Bindung (Arbeitsallianz) als in der Psychotherapie allein. Die Patientenzufriedenheit mit dem Angebot war insgesamt hoch.
Schlussfolgerungen
Die Studie liefert trotz relativ kleiner Stichprobengröße erste Hinweise dafür, dass die Verwendung des Online-Hilfsmittels Deprexis als Add-On in einer regulären Psychotherapie im Blended Treatment eine hilfreiche Möglichkeit für zukünftige Behandlungen von Depressionen sein kann. Diese Ergebnisse sind konsistent mit kürzlich publizierten weiteren Befunden, nach denen dieses Hilfsmittel auch in der stationären psychotherapeutischen Depressionsbehandlung nützlich sein kann bzw. die Wirksamkeit der Gesamtbehandlung steigern kann (Zwerenz et al., 2017). Sämtliche detailliertere Ergebnisse unserer Studie stehen ab Ende Nov. 2017 im „Journal of Affective Disorders“ zur Verfügung.
Literatur
- Berger, T., Krieger, T., Sude, K., Meyer, B., & Maercker, A. (im Druck). Evaluating an e-mental health program ("deprexis") as adjunctive treatment tool in psychotherapy for depression: Results of a pragmatic randomized controlled trial. Journal of Affective Disorders.
- Zwerenz, R., Becker, J., Knickenberg, R. J., Siepmann, M., Hagen, K., & Beutel, M. E. (2017). Online Self-Help as an Add-On to Inpatient Psychotherapy: Efficacy of a New Blended Treatment Approach. Psychotherapy and Psychosomatics, 86(6), 341-350.
Ablauf der Deprexis-Studie
Approbierte Psychotherapeuten der DPtV konnten bundesweit durch Einbindung von 10 Patienten mit unipolarer Depression an der Studie teilnehmen. Den Patienten wurde Deprexis, ein computergestütztes, überwiegend auf verhaltenstherapeutischen Methoden basierendes Hilfsmittel für die psychotherapeutische Behandlung, das als zusätzliches Element bei der Behandlung der unipolaren Depression eingesetzt werden kann, zur Verfügung gestellt.
Durchgeführt wurde die Studie von der DPtV und der GAIA AG unter der wissenschaftlichen Leitung der Universitäten Bern, Prof. Dr. Thomas Berger, und Zürich, Prof. Dr. Dr. Andreas Maercker. Das Studienprotokoll wurde von diesen unabhängigen Wissenschaftlern erstellt. Die Studie wurde von einer Ethikkommission begutachtet und über das Trial-Registry angemeldet.
Ziel der randomisiert-kontrollierten Studie (RCT) war, unter realistischen Praxisbedingungen zu klären, ob und in welchem Ausmaß die Patienten/innen sowie Psychotherapeuten von dem Hilfsmittel profitieren. Weitere explorative Fragestellungen wurden gemeinsam von beiden Projektpartnern entwickelt und bestimmt. Da es sich um eine RCT-Studie handelte, nahmen nur 50% der Patienten an der Studie teil und nutzten das Online-Hilfsmittel. Die anderen 50% (=Kontrollgruppe) erhielten zunächst keinen Zugang zum Programm, wurden jedoch gebeten, an den Online-Befragungen teilzunehmen. Nach Studienende erhielt auch die Kontrollgruppe Zugang zu Deprexis.
Nach anfänglich großem Interesse innerhalb der Profession und im Verband haben sich etwa 30 Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten aus der Mitgliedschaft entschieden, an der gemeinsamen Studie verbindlich und v.a. über einen längeren Zeitraum mitzuwirken. Diese erhielten eine entsprechende Einführung und Schulung. Von den geschulten Therapeuten konnten knapp 100 Patientinnen und Patienten eingebunden werden. Die DPtV möchte sich an dieser Stelle besonders bei allen Studien-Teilnehmer/innen wie auch bei der o.g. wissenschaftlichen Leitung und beim Schulungsleiter Dr. Björn Meyer herzlich bedanken!