Symposium 2024

Wie verändert die Digitalisierung die psychotherapeutische Versorgung?

Die fortschreitende Digitalisierung weckt Erwartungen und ruft Unsicherheiten hervor“, eröffnete Gebhard Hentschel, Bundesvorsitzender der Deutschen PsychotherapeutenVereinigung (DPtV) das diesjährige DPtV-Symposium. Rund 1.000 Teilnehmer*innen folgten der Veranstaltung im Tagungswerk Berlin und Online.

Wie verändert Künstliche Intelligenz die Versorgung?
„Wir müssen den Hype etwas runterfahren“, riet Prof. Dr. Markus Langer (Albert-Ludwigs-Universität Freiburg) in seinem Vortrag „Wie verändert Künstliche Intelligenz die Versorgung?“: „KI funktioniert etwa bei Hautkrebs gut, wo die Entscheidung ist: Hautkrebs oder nicht. In der Psychotherapie ist das schwieriger.“ Vor allem bei Hochrisiko-Kontexten wie Suizidalität bleibt der Einsatz von KI umstritten. „Von der Automatisierung sind wir nicht nur aus rechtlichen Gründen weit entfernt. Leute sind lieber in einem Face-to-Face-Gespräch vor Ort. Auch bei der Akzeptanz digitaler Systeme kommt es darauf an, ob eine Psychotherapeutin dahintersteht“, sagte Prof. Langer.

TONI: Verknüpfung mit ambulanter Therapie
Prof. Dr. Johanna Böttcher (Psychologische Hochschule Berlin) präsentierte erste Ergebnisse ihrer Studie zu TONI, einer Zusammenstellung von transdiagnostischen, verfahrensübergreifenden Online-Interventionen, die in eine Therapie eingebettet werden („blended-care-Ansatz“). „Bisherige Programme sind für eine gelungene Verknüpfung mit ambulanter Therapie wenig geeignet. Insbesondere fehlen Ansätze, die es erlauben, die Online-Inhalte an individuelle Patient*innen und Therapieprozesse anzupassen“, sagte Prof. Böttcher.

DiGA mit „One Size Fits All“-Konzept
„Sind DiGA der große Wurf?“, fragte Dr. Lasse B. Sander (Universität Freiburg). In seinem Vortrag bot er eine Übersicht über den aktuellen Stand und Entwicklungen von DiGA in der psychotherapeutischen Versorgung. „DiGA sind nicht besonders smart, sondern recht simpel gestrickt mit einem ,One Size Fits All‘-Konzept. Das kann für Psychotherapie nicht funktionieren“, kritisiert Dr. Sander. Zur Wartezeitüberbrückung oder zur Adressierung sehr isolierter Symptome wie Schlafstörungen sehe er Chancen. Er halte es für wichtig, DiGA in die Psychotherapeuten-Ausbildung zu integrieren. „Dieses Märchen, dass DiGA Psychotherapie ersetzen und Kosten sparen können, sehe ich allerdings nicht“, schloss Dr. Sander.

Verordnung, Wirkung, Datenschutz
„Wie smart ist der Mensch?“ zu diesem Thema diskutierten in einer Podiumsdiskussion Dr. Kirsten Kappert-Gonther, MdB (Bündnis 90/Die Grünen, amtierende Vorsitzende des Ausschusses für Gesundheit im Deutschen Bundestag), Dr. Susanne Ozegowski (Abteilungsleiterin Digitalisierung & Innovation im Bundesministerium für Gesundheit), Ulrike Elsner (Vorstandsvorsitzende des Verbandes der Ersatzkassen), Prof. Markus Langer, Martin Tschirsich (Geschäftsführer zentrust partners, Berater für Informationssicherheit) und Gebhard Hentschel. „DiGA leisten nicht das, was wir erwartet hatten“, kritisierte der DPtV-Bundesvorsitzende. „Sie sind als Stand-Alone-Lösung konzipiert. Im Bereich der Hausärzt*innen ist keine Begleitung leistbar. Bei den Psychotherapeut*innen jedoch ist sie gewünscht. Da sehen wir starken Entwicklungsbedarf.“ Die Abgeordnete Kappert-Gonther betonte: „Digitalisierung ist in der Psychotherapie angekommen – in Form von DiGA oder KI-gestützten Gesprächen. Ich sehe eine große Chance, aber es wird nie dasselbe sein wie ein leiblicher Kontakt. Wir haben im Moment keine DiGA für die schwer und chronisch Kranken. Diese sollten wir nicht ausschließen.“ Außerdem sprach sie sich dafür aus, dass DiGA ausschließlich nach Verordnung durch Psychotherapeut*innen oder Ärzt*innen eingesetzt werden dürfen: „Was ist, wenn die Kassen von sich aus Apps anbieten, ohne dass das indiziert ist? Schlafstörungen können ein Hinweis auf beginnende Psychosen sein – da wäre zum Beispiel eine Entspannungs-App kontraindiziert. Das muss zuvor gründlich abgeklärt werden.“ Prof. Langer plädierte dafür, die Ausbildung anzupassen: „Es ist wichtig, dass Psycholog*innen im Studium ein grundsätzliches Verständnis von Digitalisierung erhalten.“ Martin Tschirsich erinnerte an ungeklärte Datenschutz-Probleme der DiGA: „Im Grunde ist die F-Diagnose mit dem Google-Store verknüpft. Wenn ich eine DiGA nutze, habe ich höchstwahrscheinlich eine F-Diagnose für diese App. Dieses Problem ist ein zäher Brocken.“ Frau Dr. Ozegowski entgegnete: „Wir sind auf die App Stores angewiesen. Man könnte etwas Drittes erfinden, das dann aber keiner nutzt. Damit ist niemandem geholfen. Das ist ein bisschen die Resignation vor der Macht des Faktischen!“ Ulrike Elsner gab zu bedenken: „Man sollte das DiGA-Überprüfungsverfahren überdenken – ob man nur DiGA in die Versorgung bringen sollte, die ihren Nutzen bereits belegt haben.“

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