LunchTalk 2023

Grenzen des Wachstums – eine Zerreißprobe für die Menschheit?

„Grenzen des Wachstums“ lautete das Thema des Online-LunchTalks 2023 der Deutschen PsychotherapeutenVereinigung (DPtV). „Wir wollen betrachten, was die Menschen antreibt, nach immer mehr Wachstum zu streben und das Leben an immer mehr Besitz und Konsum auszurichten, obwohl wir uns damit der eigenen Lebensgrundlage berauben“, eröffnete DPtV-Bundesvorsitzender Gebhard Hentschel die Veranstaltung, an der über 800 Interessierte teilnahmen.

Wachstumsgrenzen meistern: All you need is less

Was darf sich ein einzelnes Individuum an materiellen Freiheiten erlauben, ohne über seine ökologischen und sozialen Verhältnisse zu leben? Wo endet der Nutzen von Konsum – wo beginnt der Konsumstress? Diese Fragen analysierte Prof. Dr. Niko Paech in einem spannenden Vortrag. „Der Konsum muss eingeschränkt werden – aus Schutz vor Reizüberflutung“, forderte der Volkswirtschaftswissenschaftler der Universität Siegen.

Umkehr des Lebensstils notwendig

„Polykrisen vermitteln das Gefühl: Es ist nichts mehr veränderlich. Die wichtigste Krise ist die Klimakrise. Sie fordert eine Umkehr unseres Lebensstils“, betonte Dipl.-Psych. Delaram Habibi-Kohlen. In ihrem Vortrag „Wachstum und Freiheit ohne Grenzen? Postfaktisches Wunschdenken am Beispiel des Klimadiskurses“ sprach die Psychoanalytikerin über die Gefahr, anlässlich der schmerzlichen Fakten in Resignation zu erstarren. Außerdem warnte das Mitglied der „Psychologists for Future“: „Wenn alles ersetzbar ist, weil im Überfluss vorhanden, sind es am Ende auch die Menschen genauso wie die Fakten, die durch Meinungen ersetzt werden.“

Obergrenzen und „Wachstums-Genügsamkeit“

Auf die Fragen der LunchTalk-Teilnehmer*innen antworteten die Expert*innen in der anschließenden Diskussion, die von Dr. Christina Jochim (Stv. DPtV-Bundesvorsitzende) moderiert wurde. „Humanismus heißt auch, Grenzen zu akzeptieren“, stellte Prof. Paech klar. Gruppenprozesse und gemeinsames Handeln seien entscheidend, um eine Kultur der „Post-Wachstum-Genügsamkeit“ zu erzeugen. Auch Konfrontation und Streit seien wichtig. „Wir sind eine Kuschel-Demokratie geworden. Es darf niemandem eine Einschränkung aufgezwungen werden“, kritisierte er. Frau Habibi-Kohlen erklärte die Mechanismen der Verdrängung: „Wenn Schuldgefühle zu groß werden, wenden wir uns ab.“ Ihrer Meinung nach sei es eine unausgesprochene Übereinkunft, gehöre es zur „Nicht-Abstinenz“, das Thema bei den Patient*innen „totzuschweigen“ und sich in eine gemeinsame Abwehr zu begeben. Auch als Psychotherapeut*in müsse man sich die eigene Haltung bewusst machen.

Unsere Podiumsgäste

© Michael Messal

apl. Prof. Dr. Niko Paech
studierte Volkswirtschaftslehre, promovierte 1993, habilitierte sich 2005 und vertrat den Lehrstuhl für Produktion und Umwelt an der Carl von Ossietzky Universität Oldenburg von 2008 bis 2016. Derzeit forscht und lehrt er an der Universität Siegen im Masterstudiengang Plurale Ökonomik. Seine Forschungsschwerpunkte sind Postwachstumsökonomik, Klimaschutz, nachhaltiger Konsum, Sustainable Supply Chain Management, Nachhaltigkeitskommunikation und Innovationsmanagement. Er ist in diversen nachhaltigkeitsorientierten Forschungsprojekten, Netzwerken, Initiativen sowie Genossenschaften tätig.

Dipl.-Psych. Delaram Habibi-Kohlen
Lehranalytikerin Deutsche Psychoanalytische Vereinigung (DPV), Internationale Psychoanalytische Vereinigung (IPA) und Deutsche Gesellschaft für Psychoanalyse, Psychotherapie, Psychosomatik und Tiefenpsychologie (DGPT), niedergelassen in eigener Praxis in Bergisch Gladbach. Veröffentlichungen zur Klimakrise, ferner zu Durcharbeitung in der Gegenübertragung. Mitglied bei den Psychologists for Future, Climate Committee der IPA, DGPT Klima Gruppe, Klimafreunde Bergisch Gladbach. Mitglied im Beirat der Zeitschrift "Psyche".