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DPtV kritisiert Beschluss zur Änderung der Psychotherapie-Richtlinie und fordert fachliche Überarbeitung
Beschluss des Gemeinsamen Bundesauschusses vom 16.06.2016 über die Strukturreform der ambulanten Psychotherapie
Sehr geehrter Herr Dr. Orlowski,
die beschlossene Reform der Psychotherapierichtlinie erfüllt unseres Erachtens in Teilen nicht den gesetzlichen Auftrag gemäß § 92 Abs. 6a Satz 3 des GKV-Versorgungsstärkungsgesetzes.Wir haben folgende Bedenken:
Kurzzeittherapie
Die Aufteilung der Kurzzeittherapie in zwei Abschnitte von jeweils 12 Sitzungen ist willkürlich und von keiner Evidenz gestützt. Aktuelle wissenschaftliche Auswertungen von Patientendaten über alle Krankenkassen und Alterstufen hinweg zeigen, dass erst nach durchschnittlich 15-19 Sitzungen 50% der Patienten eine klinisch bedeutsame Besserung erreichen (vgl. Stellungnahme der BPtK). Eine fraktionierte Behandlungsplanung ist schädlich für die Entwicklung einer verbindlichen vertrauensvollen Behandlungsbeziehung, die die Basis einer jeden Psychotherapie darstellt. In den Tragenden Gründen (S.25) zum Richtlinien-Beschluss wird bei der Bürokratiekostenermittlung ebenfalls dargelegt, dass 65 % aller Patienten mehr als 12 Sitzungen benötigen. Die Zahlen der KBV (vgl. Multmeier et al) zeigen, dass die Behandler die Behandlungsdauer flexibel und offensichtlich angepasst an die individuelle Behandlungsnotwendigkeit gestalten. Da aus den Abrechnungszahlen hervorgeht, dass die meisten Patienten mehr als 12 Sitzungen benötigen, bedeutet die Zweiteilung mit einem zweiten Antrag an die Krankenkasse in der überwiegenden Zahl der Behandlungen einen zusätzlichen bürokratischen Aufwand, der weder erforderlich noch zweckmäßig ist. Zudem ist mit der Etablierung einer Akuttherapie bereits eine bis zu 12 Sitzungen umfassende Behandlungseinheit eingeführt, einer darüberhinausgehenden Teilung der KZT bedarf es jedenfalls aus fachlich psychotherapeutischen Erwägungen nicht.
Wir bitten Sie darum, den Beschluss an dieser Stelle zu beanstanden und dem G-BA aufzugeben, die bisherige Regelung zur Kurzzeittherapie (antrags- und genehmigungspflichtige Kurzzeittherapie im Umfang von 25 Sitzungen) beizubehalten.
Rezidivprophylaxe
Eine „ausschleichende Behandlung“ im Sinne des im § 14 der Psychotherapierichtlinie beschriebenen Verfahrens, wonach ab einer bestimmten Behandlungsdauer die für eine Rezidivprophylaxe vorgesehenen Sitzungen bis zu 2 Jahre in Anspruch genommen werden können, ist keine Neuerung und war schon nach der bisherigen Psychotherapierichtlinie möglich. Die nun neu geregelte Festlegung auf ein bestimmtes Kontingent, das für die Rezidivprophylaxe vorgesehen sein soll, bedeutet einen zusätzlichen bürokratischen Aufwand und eine Festlegung zu einem Zeitpunkt, zu dem das tatsächlich benötigte Kontingent für die Rezidivprophylaxe oft nicht absehbar ist.
§ 14 Abs. 5 sieht vor, dass, wenn ein möglicher Einsatz der Rezidivprophylaxe bei Beantragung der Langzeittherapie noch nicht absehbar ist, dies im Bericht an den Gutachter zu begründen sei. Wenn nun beispielsweise während des letzten Behandlungsabschnitts einer Langzeittherapie (beispielsweise nach 70 Sitzungen Verhaltenstherapie) die Notwendigkeit
einer Rezidivprophylaxe festgestellt wird, würde dies die erneute Beanspruchung des Gutachterverfahrens bedeuten.
Tatsächlich sind die Psychotherapeuten aufgrund der gesetzlichen Auflage der Einführung einer Rezidivprophylaxe davon ausgegangen, dass dies ein zusätzliches Behandlungsangebot für schwer psychisch bzw. chronisch kranke Patienten bedeutet. Mit einer niederfrequenten, langfristig stabilisierenden psychotherapeutischen Begleitung auf der Basis des in der vorangegangenen Psychotherapie erarbeiteten Störungsverständnisses, sollte eine langfristig wirksame Stabilisierung erreicht werden können. Nicht zuletzt sollten damit auch Krankenhausbehandlungen eingeschränkt werden.
Wir bitten Sie, die Neuregelung zur Rezidivprophylaxe zu beanstanden und eine sinnvolle Regelung in dem hier beschriebenen Sinne als Auflage vom G-BA einzufordern.
Förderung der Gruppentherapie
Seit Jahren beträgt der Anteil der Gruppentherapie lediglich ca. 2 % aller Anträge auf Psychotherapie. Die vorgesehenen Maßnahmen zur Verbesserung der Rahmenbedingungen sind aus unserer Sicht ungenügend und werden aller Voraussicht nach zu keinem nennenswerten Anstieg der Rate von Gruppenpsychotherapien führen.
Stattdessen ist als Fördermaßnahme die Befreiung von der Begründungspflicht im Gutachterverfahren für die Kurzzeittherapie vorgesehen und damit einhergehend die Abschaffung der entsprechenden Befreiungstatbestände für die Kurzzeittherapie. Weitere Maßnahmen sollen einheitliche Berichtsinhalte bei Fortführungsanträgen und erleichterte Kombinationsmöglichkeiten von Einzel- und Gruppentherapie durch eine Neugestaltung der Antragsformulare (in Zusammenhang mit der Anpassung der Psychotherapievereinbarung) sein.
Dazu ist festzustellen, dass die meisten Psychotherapeuten mit Qualifikation für Gruppenpsychotherapie bereits jetzt schon von der gutachterlichen Begründungspflicht in der Kurzzeittherapie befreit sind und die Kombinationsmöglichkeiten von Einzel- und Gruppentherapie schon gegeben sind.
Eine generelle Befreiung von der Berichtspflicht für Gruppentherapie, zumindest für erfahrene Behandler, wäre eine leicht umsetzbare und effektive Förderung der Gruppentherapie.
Die Einführung der Möglichkeit psychoedukativer Gruppenbehandlungen mit begrenzter Zielsetzung außerhalb der „Richtlinienpsychotherapie“ auf derselben strukturellen Ebene wie die Akutbehandlung hätte für die Patientenversorgung einen wirklichen Fortschritt bedeutet. Entsprechende Programme sind in Vielzahl vorhanden.
Wir bitten Sie darum, den G-BA damit zu beauftragen, ein solches ergänzendes Konzept zur Förderung der Gruppentherapie zu entwickeln.
Dokumentationsbogen
Der nunmehr verpflichtend vorgesehene Einsatz von Dokumentationsbögen wurde weder unter dem Aspekt der Datensparsamkeit noch hinsichtlich der Qualitätssicherung ausreichend begründet. Hier werden zuzüglich der Erhebung von Sozialdaten auch verpflichtende psychometrische Instrumente gefordert. Angesichts der Heterogenität psychischer Erkrankungen muss es der fachlichen Beurteilung des behandelnden Psychotherapeuten überlassen bleiben, welche diagnostischen Verfahren zum Einsatz kommen statt bestimmte Instrumente für alle Patienten zwingend vorzuschreiben. Dies gilt in besonderem Maß für die fachlich unbegründete Vorschrift, bei Kindern und Jugendlichen in jedem Fall das Intelligenzniveau festzustellen. Auch verschiedene Formulierungen wie z.B. ‚abnormes Erziehungsverhalten‘ können von den Patienten als diskriminierend verstanden werden und sollten nicht verwendet werden.
Wir bitten Sie darum, den Beschluss an dieser Stelle zu beanstanden und dem G-BA eine fachliche Überarbeitung aufzugeben.
Mit freundlichen Grüßen
Barbara Lubisch
Bundesvorsitzende der DPtV