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  • Veröffentlichungsdatum 25.11.2021
  • Ort Berlin
  • Art Pressemitteilung

Entstigmatisierung psychischer Krankheiten im Fokus der Koalition

DPtV: Gesundheitspolitische Pläne der Ampel-Parteien überwiegend positiv

„Wir begrüßen den heute vorgestellten Koalitionsvertrag, in dem sich die Forderungen unseres Verbands zu großen Teilen wiederfinden“, kommentiert Gebhard Hentschel, Bundesvorsitzender der Deutschen PsychotherapeutenVereinigung (DPtV) die Pläne der neuen Ampel-Koalition. „Wir freuen uns über das Bekenntnis der Koalition zu einer sektorenübergreifenden, flächendeckenden und bedarfsgerechten Gesundheitsversorgung. Dabei erfordert die ambulante und stationäre psychotherapeutische Versorgung besondere Aufmerksamkeit.“

 

Die DPtV-Einschätzung im Einzelnen:

Entstigmatisierung psychischer Krankheiten

Positiv sieht die DPtV zudem, dass der Koalitionsvertrag eine Aufklärungskampagne zur Entstigmatisierung psychischer Erkrankungen vorsieht. Psychische Erkrankungen gewinnen bundesweit an Bedeutung. Die Zeit zwischen einer ersten Symptombildung und einer adäquaten psychotherapeutischen Versorgung ist noch immer deutlich zu hoch. Psychische Erkrankungen müssen früher erkannt und die Betroffenen frühzeitig eine fachgerechte Behandlung erhalten.

Weiterbildung

Im Koalitionsvertrag vermisst die DPtV eine Festlegung zur finanziellen Förderung der psychotherapeutischen Weiterbildung. Diese ist zur Sicherung des psychotherapeutischen Nachwuchses dringend erforderlich.

Recht auf Überweisung

Zur Verbesserung der psychotherapeutischen Versorgung sollten die sozialrechtlichen Befugnisse der Psychologischen Psychotherapeut*innen und Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeut*innen erweitert werden. Es ist überfällig, dass Psychotherapeut*innen Krankschreibungen vornehmen können und in das Überweisungsverfahren eingebunden werden.

Komplexbehandlung

Die Koalition erklärt, die Versorgung von schwer psychisch erkrankten Patientinnen mit komplexem Behandlungsbedarf zu verbessern und den Zugang sicherzustellen sowie die Kapazitäten bedarfsgerecht weiterzuentwickeln und stärker koordiniert auszubauen. Die DPtV begrüßt diesen Schritt, da die Erstfassung der KSVPsych-Richtlinie dringend der Überarbeitung bedarf in Bezug auf unnötige Doppeluntersuchungen und unzumutbare Untersuchungsfristen. Dieses greift die Koalition offenbar auf.

Der wohnortnahe Zugang für Patient*innen zu dieser sektorenübergreifenden Versorgung kann aber nur gewährleistet werden, wenn auch Vertragsärzte und -psychotherapeut*innen mit einem halben Versorgungsauftrag als Bezugsbehandler*innen beteiligt werden. Darüber hinaus sieht die Richtlinie vor, dass Patient*innen im Anschluss an eine Eingangssprechstunde bei Psychotherapeut*innen eine zusätzliche Abklärung innerhalb von sieben Tagen durch einen Facharzt für Psychiatrie oder Psychosomatik herbeiführen müssen. Diese Maßnahme ist für die Patient*innen und das Behandler*innennetz unnötig aufwändig, da Psychotherapeut*innen bereits eine umfangreiche Abklärung unter Einbeziehung somatischer Befunde herbeiführen und die notwendigen somatischen Abklärungen veranlassen.

Eine Koordination der Behandlungsleistungen muss auch durch die Bezugspsychotherapeut*innen und -ärzt*innen durchgeführt werden können und sollte nicht zwingend delegiert werden müssen, wie bisher vorgesehen.

Stationäre Versorgung

Darüber hinaus wendet sich der Koalitionsvertrag der Verbesserung der stationären Versorgung zu und kündigt eine leitliniengerechte psychotherapeutische Versorgung und bedarfsgerechte Personalausstattung an. Die DPtV begrüßt diese Initiative ausdrücklich und vollumfänglich. In der aktuellen Änderung der „Psychotherapie in Psychiatrie und Psychosomatik Richtlinie“ (PPP-Richtlinie) durch den G-BA ist bei weitem nicht der notwendige Bedarf an patientenbezogener Psychotherapiezeit und entsprechender Psychotherapie-Personalausstattung bestimmt worden. Für eine wirksame Behandlung von Patient*innen nach dem allgemein anerkannten wissenschaftlichen Stand muss eine Erhöhung der Minutenwerte für Psychotherapie im stationären Bereich erfolgen.

Bedarfsplanung

Die DPtV begrüßt die im Koalitionsvertrag angekündigte gezielte Überprüfung der Bedarfsplanung in ländlichen und strukturschwachen Regionen. Die Corona Pandemie zeigt derzeit die Engpässe in der ambulanten psychotherapeutischen Versorgung deutlich auf. Das ambulante Versorgungsangebot von Kindern und Jugendlichen muss weiterentwickelt werden.

Digitalisierung

Die Parteien der Koalition betonen eine regelmäßig fortzuschreibende Digitalisierungsstrategie, welche die Perspektive der Lösung von Versorgungsproblemen und die Nutzer in den Vordergrund rückt. Die DPtV begrüßt, dass die angestoßene Digitalisierung im Gesundheitswesen zukünftig stärker am Nutzen für die Versorgung ausgerichtet werden soll. Nach Auffassung des Verbands müssen Innovationen der Telematikinfrastruktur und IT-Anwendungen zunächst eine vollständige Erprobung hinsichtlich des Nutzens für die Versorgung, der Anwendbarkeit im Praxisbetrieb sowie des Datenschutzes und der Datensicherheit durchlaufen. Die Attraktivität dieser Anwendungen darf dabei nicht vor den Datenschutz gestellt werden. Die Umsetzung in den Praxisbetrieb sollte vom Nutzen für die Versorgung bestimmt werden – Sanktionen lehnt die DPtV entschieden ab.

Die elektronische Patientenakte (ePA) soll DSGVO-konform und mit einer Opt-Out-Funktion zur Verfügung gestellt werden, so der Koalitionsvertrag. Eine Opt-Out-Funktion jedoch sichert laut DPtV nicht die gebotene Freiwilligkeit. Die ePA-Anbieter sollten stattdessen die potenziellen Nutzer aktiv von ihrem Nutzen überzeugen und eine Opt-In-Funktion anbieten. Darüber hinaus ist der Datenschutz bis einschließlich des genutzten Endgerätes sicherzustellen bzw. bestmöglich zu gewährleisten. Die Nutzung der ePA über Smartphone und Tablet gewährleistet dies nicht ohne weitere Maßnahmen. Auch das feingranulare Berechtigungs- und Lesemanagement für die eingestellten Informationen muss vor einer Nutzung mit sensiblen Gesundheitsdaten vollumfänglich gegeben sein. Die Forderung von Industrieverbänden nach Freigabe von Patientendaten aus der ePA für die „forschende Gesundheitswirtschaft“ lehnt die DPtV strikt ab.

Prävention

Die DPtV begrüßt die zielgruppenbezogene Stärkung der Prävention als gesamtgesellschaftliche Aufgabe und die Berücksichtigung von Einsamkeit und Suizid sowie die Vorbeugung von klima- und umweltbedingten Gesundheitsschäden. Dabei sollten auch die Möglichkeiten der betrieblichen Prävention stärker Beachtung finden. Im Arbeitssicherheitsgesetz sollten neben der betriebsmedizinischen Betreuung klar umschriebene betriebspsychotherapeutische Betreuungsmodelle sowie die regelhafte, strukturierte Kooperation zwischen Betriebsärzt*innen und Psychotherapeut*innen verankert werden.

Neue Versorgungsmodelle

Die DPtV begrüßt den Ausbau des gesetzlichen Spielraums für Verträge zwischen Leistungserbringern und Krankenkassen zur Stärkung von Innovationen. Dabei müssen gute Versorgungsmodelle schlussendlich allen Versicherten zugutekommen und sollten bei Eignung in den Kollektivvertrag überführt werden.

Weiterhin sieht der Verband eine stärker sektorenübergreifende Versorgungsplanung positiv, soweit dadurch weitere Behandlungsressourcen für die Versorgung entwickelt und die sektorenübergreifende Kooperation gestärkt werden kann. Dabei darf der begründete Trend zur Ambulantisierung ärztlicher und psychotherapeutischer Versorgung nicht kommunal- und landespolitischen Interessen untergeordnet werden.

GOÄ

Eine Aussage zu der lang erwarteten Gebührenordnung für Ärzte (GOÄ) ist im Koalitionsvertrag nicht enthalten. Die neue GOÄ ist überfällig und sollte nach jahrelanger Überarbeitung nun schnell finalisiert werden.

Geschlechtsspezifische Medizin

Die DPtV begrüßt die stärkere Berücksichtigung geschlechtsbezogener Unterschiede in der Versorgung, bei Gesundheitsförderung und Prävention und in der Forschung sowie den Abbau von Diskriminierungen und Zugangsbarrieren. Genderbezogene Spezifika in den Aus-, Fort- und Weiterbildungen der Gesundheitsberufe zu stärken ist naheliegend und kann neue Impulse auch in der Versorgung psychisch erkrankter Patient*innen setzen.