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  • Veröffentlichungsdatum 03.09.2021
  • Ort Berlin
  • Art Pressemitteilung

Komplexversorgung ein wichtiger Schritt, aber Hürden bleiben

DPtV kritisiert Beschränkungen und fordert BMG zu Nachbesserungen auf

„Wir begrüßen, dass es nach langwierigen Beratungen und Kompromissfindungen gelungen ist, die Erstfassung einer Richtlinie der strukturierten Versorgung insbesondere für schwer psychisch kranke Patient*innen zu verabschieden“, kommentiert Gebhard Hentschel, Bundesvorsitzender der Deutschen PsychotherapeutenVereinigung (DPtV), die Entscheidung des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA) zur Komplexversorgung. „In regionalen Netzstrukturen können demnächst Psychotherapeut*innen und Fachärzt*innen der Psychiatrie oder Psychosomatik abgestimmt Patient*innen mit einem komplexen psychiatrischen oder psychotherapeutischen Behandlungsbedarf versorgen. Psychotherapeut*innen führen den Erstkontakt, Diagnose und Indikationsstellung durch, erstellen den Gesamtbehandlungsplan und begleiten Patient*innen durch die berufsgruppenübergreifende Versorgung.“ Weitere mit dem Netz kooperierende Gesundheitsberufe, Ergotherapeut*innen, Soziotherapeut*innen, häuslich psychiatrische Krankenpflege sowie gegebenenfalls eine stationär psychiatrische Klinik würden ebenfalls einbezogen.

Nachbesserungen nötig

„Allerdings sind erhebliche Hürden geschaffen worden, die den psychisch belasteten Patient*innen regelhaft aufwändige Doppeluntersuchungen zumuten. Die verpflichtende und gegebenenfalls redundante Einholung einer somatischen Abklärung über die Netzärzte lehnen wir ab“, sagt Psychotherapeut Hentschel. Dies sei ein Umweg. Patient*innen hätten meist Befunde aus ihrer oft langen Behandlungshistorie und nähmen bereits ärztliche Versorgung außerhalb zukünftiger Netzstrukturen wahr. Die Einbeziehung dieser Befunde in einen Gesamtbehandlungsplan sei in der Regelversorgung bei Psychotherapeut*innen längst gängige Praxis und sollte auch hier unmittelbar ermöglicht werden. Außerdem stelle es für schwer kranke Patient*innen eine Belastung dar, sich für die somatische Abklärung zusätzlichen Behandelnden anzuvertrauen. Die DPtV fordert das Bundesministerium für Gesundheit auf, den G-BA zu Nachbesserungen zu verpflichten.

Engpass Psychiater*innen-Mangel

„Wir kritisieren auch, dass sich nur Praxen mit einem vollen Versorgungsauftrag beteiligen können. Wir benötigen alle zur Verfügung stehenden vertragspsychotherapeutischen Kapazitäten – insbesondere in ländlichen Räumen – um die Versorgung sicherzustellen. Die Begrenzung auf bestimmte Praxiskonstellationen ist fachlich nicht nachvollziehbar“, betont Hentschel. Außerdem sei ein Engpass in der Eingangsdiagnostik vorprogrammiert: „Die dafür erforderlichen Psychiater*innen und Psychosomatiker*innen sind in vielen Regionen gar nicht vorhanden“, kritisiert Hentschel.

Konzept teilweise nicht ausgereift

„Die Komplexversorgung sollte schwer psychisch kranken Patient*innen eine vernetzte interdisziplinäre Therapie ermöglichen. Für die Patient*innen jedoch sorgen enge, vorgeschriebene Zeitfenster, in denen mehrere Praxen aufgesucht werden müssen, für zusätzlichen Stress. Wer mit psychisch schwer erkrankten Menschen arbeitet, weiß, dass dies nicht selten zu frühzeitigen Behandlungsabbrüchen führt“, warnt Hentschel. Ein weiterer Überarbeitungsbedarf bestehe darin, dass Koordinierungsleistungen an andere Fachkräfte – medizinische Fachangestellte oder Ergotherapeut*innen – delegiert werden müssten und dies nicht „aus einer Hand“ durch die Behandler*innen erfolgen dürfe. Der Zeit- und Koordinierungsaufwand müsse durch jeden erbracht werden können und angemessen vergütet werden.