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  • Veröffentlichungsdatum 18.07.2022
  • Ort Berlin
  • Art Pressemitteilung

Komplexversorgung: Einfachere und flexiblere Regelungen notwendig

DPtV und bvvp sehen Einführung zum 1. Oktober 2022 kritisch und machen Vorschläge

„Wir haben Zweifel, ob die Komplexversorgung in dieser Form die Patient*innen erreichen wird“, sagt Gebhard Hentschel, Bundesvorsitzender der Deutschen PsychotherapeutenVereinigung (DPtV). Benedikt Waldherr, Vorsitzender des Bundesverbands der Vertragspsychotherapeuten (bvvp) ist ebenfalls skeptisch: „Psychotherapeut*innen und Patient*innen wurden große Hürden in den Weg gestellt.“ Am 1. Oktober 2022 startet das neue Angebot gemäß der Richtlinie über die berufsgruppenübergreifende, koordinierte und strukturierte Versorgung insbesondere für schwer psychisch kranke Versicherte mit komplexem psychiatrischen oder psychotherapeutischen Behandlungsbedarf (KSVPsych-RL). Die Psychotherapeut*innen-Verbände begrüßen, dass die ambulanten Versorgungsstrukturen für schwer psychisch Erkrankte verbessert werden sollen: „Wir haben uns sehr für diese neue Versorgungsmöglichkeit eingesetzt. Eine vernetzte und durch Ärzt*innen und Psychotherapeut*innen gesteuerte Versorgung ist das Modell der Zukunft.“ Die jetzt vorliegende Umsetzung des Gesetzesauftrages in § 92 Abs.6b SGB V durch den Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) sei jedoch korrekturbedürftig.

Alle Behandlungskapazitäten nutzen – halbe Sitze einbeziehen

So sehen die Verbände ein Problem in den Kapazitäten: Nur Praxen mit
einem vollen Versorgungsauftrag können sich als Bezugsärzt*innen oder Bezugspsychotherapeut*innen beteiligen. Das schließe bereits 62 Prozent der Psychotherapeut*innen aus. Dabei benötige man alle zur Verfügung stehenden vertragspsychotherapeutischen Kapazitäten – insbesondere in ländlichen Räumen – um die Versorgung sicherzustellen. Die Begrenzung auf bestimmte Praxiskonstellationen sei fachlich nicht nachvollziehbar.

Anforderungen an Netze reduzieren – Neue Behandlungsmöglichkeiten für schwer psychisch kranke Menschen schaffen

Enttäuscht zeigen sich die Verbände auch über die getroffenen Vergütungsregelungen im einheitlichen Bewertungsmaßstab (EBM). Es sei richtig, aufwändige koordinierende Leistungen, Fallbesprechungen und den Aufbau von Netzstrukturen gesondert zu vergüten. Die Ansprüche an eigene Netz-IT und Netz-QM, an enge Zeitfenster für Terminvergaben etc. seien jedoch sehr hoch, und die jetzt festgelegte Höhe der Vergütung entschädige in keiner Weise die erheblichen Aufwendungen der beteiligten Berufsgruppen, so die Verbände. Eine Möglichkeit könne sein, die Netzanforderungen zu reduzieren, zumindest für eine  Einführungsphase. Außerdem seien zusätzliche Ziffern für niederschwellige Gespräche und insbesondere für niederschwellige Gruppenangebote notwendig; dies habe sich im Vorläuferprojekt ‚NPPV‘ in Nordrhein gezeigt. Die Verbände fordern, die positive Evidenz aus diesem Projekt zu berücksichtigen.

Problematisches Nadelöhr: Zwingende psychiatrische differenzialdiagnostische Abklärung abschaffen

Psychotherapeut*innen sind unabhängig von ihrer beruflichen Herkunft dazu in der Lage, differenzialdiagnostische Abklärungen vorzunehmen. Deswegen sollten die zuerst kontaktierten Psychotherapeut*innen und Ärzt*innen dazu berechtigt sein, eine umfassende differenzialdiagnostische Einschätzung auf der Grundlage ihrer eigenen Untersuchungen und oft bereits vorliegender Fremdbefunde vorzunehmen. Eine gute multidisziplinäre Zusammenarbeit in einem Versorgungsnetz lebt von wechselseitigem Vertrauen in die Kompetenzen aller Netzteilnehmer*innen und deren Verantwortungsbewusstsein, dann andere Professionen hinzuzuholen, wenn deren Expertise zusätzlich gefragt ist. Eine nicht notwendige und nicht indizierte, aber erzwungene weitere Abklärung durch einen P-Facharzt stellt einen belastenden Umweg dar. Zusätzlich stellt dies angesichts des vielerorts vorhandenen Psychiatermangels ein problematisches Nadelöhr dar.

Wahlfreiheit für Patient*innen erhalten

Die Wahlfreiheit der Patient*innen werde zudem eingeschränkt, da bei behandlungsleitenden somatischen Hauptdiagnosen, relevanten somatischen  Komorbiditäten oder wechselnden Therapieschemata bei psychopharmakologischen Behandlungen ein Wechsel zu einem/r Bezugsärzt*in vorgesehen ist. Schon jetzt versorgen Psychotherapeut*innen jedoch Patient*innen mit den genannten Indikationen in enger Abstimmung mit qualifizierten Fachärzt*innen – die Freiheit der Arzt-/Psychotherapeutenwahl durch die Patient*innen ist ein wichtiges Erfolgskriterium bei der Behandlung.

Die Verbände erwarten, dass der G-BA der Beobachtungspflicht hinsichtlich der Auswirkungen seiner Entscheidungen entsprechend der Verfahrensordnung 1. Kapitel, § 7, Absatz 4 zeitnah nachkommt und die notwendigen Modifikationen vornimmt. Menschen mit schweren psychischen Erkrankungen benötigen dieses Versorgungskonzept für eine bestmögliche Behandlung.

 

Pressekontakt/Interview-Anfragen:

bvvp
Anja Manz

presse@bvvp.de
Mobil: 0177 6575445
Telefon: 030 88725954

DPtV
Hans Strömsdörfer

presse@dptv.de
Mobil: 0157 73744828
Telefon: 030 23500927