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Männer leiden anders – aber sie leiden auch Spezifische Angebote sind notwendig
"Männer sind genauso von psychischen Erkrankungen betroffen, wie Frauen. Bisher ist es gesellschaftlich aber für viele nicht möglich, diese Erkrankungen öffentlich zu machen. Das müssen wir ändern mit spezifischen Angeboten für betroffene Männer und mehr Aufklärung der Bevölkerung. Denn psychische Erkrankungen sind genauso 'normale' Erkrankungen, wie jede somatische", betont Dipl. Psych. Barbara Lubisch, stellvertretende Bundesvorsitzende der Deutschen PsychotherapeutenVereinigung (DPtV) anlässlich des DPtV-Symposiums "Mann kriegt die Krise", das heute in Berlin stattfindet.
Die Rahmenbedingungen in den psychotherapeutischen Praxen sollten überdacht werden, um auch Männer erreichen zu können, betont Frau Lubisch. "Wir müssen umdenken", weist sie den Weg. Männer mit Depressionen wirken oft weniger niedergeschlagen oder verzweifelt als Frauen, sie 'überspielen' ihre Schwierigkeiten mit aggressiven oder riskanten Verhaltensweisen oder betäuben sie mit Alkohol oder Drogen. Auch Ängste und inadäquat verarbeitete seelische Verletzungen werden oft als aggressives oder gewalttätiges Verhalten sichtbar und deshalb nicht erkannt. Besonders junge Männer sind oft Gewalterfahrungen ausgesetzt und leiden unter den Nachwirkungen.
Schon die Tatsache, dass die Suizidrate bei Männern dreimal höher als bei Frauen ist, spricht für sich. "Wir müssen die gesellschaftliche Verantwortung für diese Tatsachen sehr ernst nehmen", unterstreicht die Psychotherapeutin. Neben einer ausreichenden Zahl an Therapieplätzen und einer höheren Anzahl männlicher Therapeuten müsse auch in den Betrieben und Organisationen mehr Sensibilität für die psychischen Probleme der Männer geschaffen werden. Das gilt auch für präventive Angebote. "Deshalb sollte das Präventionsgesetz speziell die Aspekte psychischer Gesundheit berücksichtigen", betont Frau Lubisch. In der betrieblichen Prävention und in die betrieblichen Gesundheitsprogramme sollten Psychotherapeuten unbedingt mit einbezogen werden, da diese das notwendige spezifische Know-how besitzen. Die Rahmenbedingungen der psychotherapeutischen Versorgung müssen verbessert werden, z.B. wäre für Männer ein niedrigschwelliger Zugang zum Psychotherapeuten durch Akutsprechstunden und ein vermehrtes Angebot an Gruppentherapie hilfreich. Die Politik ist aufgefordert, die Lücken in der adäquaten Versorgung psychisch Kranker endlich in den Blick zu nehmen, betont Frau Lubisch.
Dipl.-Psych. Johannes Vennen aus Kiel arbeitet seit vielen Jahren erfolgreich mit männerspezifischen Angeboten und berichtet aus der Praxis. So wenig wie es die Norm-Frau gibt, gibt es den Norm-Mann. "Seit Jahrhunderten sind Frauen und Männer unterschiedlich sozialisiert, wieso soll gerade in der Psychotherapie ein unisexueller Ansatz funktionieren?" gibt Vennen zu bedenken.
Nach Vennens Einschätzung sind die Unterschiede innerhalb des Geschlechtes größer als zwischen Männern und Frauen. Er nutzt bei der Therapie männertypisches Verhalten, wie ihre größere Technikbegeisterung (Einsatz von Smartphones, Mitschnitt der Therapiesitzung). Auch ein anderes Setting bei der Therapie hilft, betont Vennen. So hat er auch einen Stehplatz eingerichtet oder nutzt Therapie by walking als andere Form der Arbeitssituation.
Um die Männer erreichen zu können, rät Vennen dazu, diese direkt anzusprechen, Männersprechstunden einzurichten und männerspezifische Angebote zu machen, wie Therapiegruppen für Männer oder Achtsamkeit für Männer. Unter Achtsamkeit versteht man eine spezifische Form der Aufmerksamkeitslenkung auf den aktuellen Moment ,absichtsvoll und nicht wertend. Das setzt man beispielsweise zu Reduktion von Stress ein.
Auch die Homepage eines Psychotherapeuten als erste Anlaufstelle für Informationen kann auf die Spezialisierung auf Männerthemen für den Suchenden hilfreich sein.
Männergerechte Psychotherapieangebote sind derzeit noch Mangelware, berichtet Vennen. Um Männer zu erreichen, muss sich einiges verändern. Dazu gehören angepasste Sprechzeiten, die der Lebenswelt von Männern entsprechen, also abends und am Wochenende. Ebenso dazu zählen die Raumgestaltung und auch die Zeitschriften im Wartebereich. Und andere Therapieformen, wie Übungen, Rollenspiele, Präsentationen, Konfrontation/Provokation.
Allerdings sollte sich auch der Psychotherapeut auf andere Reaktionsmuster dermännlichen Patienten einstellen. Vennens Erfahrung:
- Männer stellen ihn mehr auf die Probe
- Kritische Nachfragen kommen überwiegend von Männern
- Beziehungstest: wie ist das Standing von meinem Therapeuten?
- Wichtig: Souveräner Umgang mit Kritiken
Bei der Diagnostik gibt es ebenfalls deutliche Unterschiede zwischen den Geschlechtern. So zeigen Männer weniger Symptome als Frauen. Manche Themen, wie Erektionsstörungen oder fehlende Lust, Missbrauchserlebnisse und Gewalterfahrungen, besonders wenn die Männer Opfer von weiblicher Gewalt sind, kommen nur auf Nachfrage zu Tage.
"Wichtig ist es, eine männergerecht Therapiesituation zu schaffen, dann erreichen wir die Betroffenen auch und können ihnen helfen", berichtet Vennen.