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  • Veröffentlichungsdatum 21.07.2009
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Zu viele Medikamente – zu wenig Psychotherapie für Kinder und für alte Menschen mit psychischen Krankheiten

Pressemitteilung 07/2009

Der Sachverständigenrat zur Begutachtung der Entwicklung im Gesundheitswesen bemängelt in dem kürzlich vorgestellten Gutachten die Versorgung psychisch kranker Kinder und älterer Menschen. Die Behandlung sei oft nicht leitliniengerecht und noch zu selten werde eine psychotherapeutische Behandlung empfohlen. Das Gutachten unterstreicht nach Meinung der Deutschen PsychotherapeutenVereinigung (DPtV) die Notwendigkeit, psychische Krankheiten frühzeitiger als bisher zu erkennen und zu behandeln. Es dauere oft zu lange, bis eine geeignete Behandlung begonnen wird. „Dies trägt zur Generalisierung und zur Chronifizierung der Krankheiten bei“, erklärt der DPtV-Vorsitzende Dipl.-Psych. Dieter Best in Berlin bei der Vorlage der Stellungnahme der DPtV zum Gutachten.

Mehr Interdisziplinarität zwischen Hausärzten und Psychotherapeuten, verbesserter Zugang zur Psychotherapie, die Einbeziehung psychotherapeutischer Maßnahmen bei körperlichen Erkrankungen in Klinik und Praxis und die Einführung der Möglichkeit von Gruppentherapien sollten gefördert werden, sagt Best.

Dass das Wissen über psychische Erkrankungen, Diagnostik und Therapie deutlich verbessert werden müsse, gilt nach Best auch für körperlich erkrankte Menschen, die mit psychischen Störungen belastet sind und die im Krankenhaus behandelt werden. Liaison- und Konsiliardienste mit Psychotherapeuten sollten verbindlich in den Krankenhausplänen der Länder aufgenommen werden.

Bei der Behandlung von ADHS (Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitäts-Syndrom) stellt der Einsatz von Stimulantien oft die alleinige Therapie dar, ohne sorgfältige Diagnostik und ohne Prüfung der Notwendigkeit von psychotherapeutischen Verfahren. Der Sachverständigenrat hatte ein Zweitmeinungsverfahren bei der Medikation gefordert. Aus Sicht der DPtV sollte zur Abklärung der Indikation für eine medikamentöse Behandlung neben den Kinder- und Jugendpsychiatern auch Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten einbezogen werden.

Auch die hohen Verschreibungsquoten von Psychopharmaka – oft auf Privatrezept – bei alten Menschen sei kennzeichnend für die Fehlversorgung, so der Sachverständigenrat. Rund Zweidrittel der über 65-jährigen weisen mindestens zwei chronische Erkrankungen auf, psychische und Verhaltensstörungen seien oft die Ursache für eine Pflegebedürftigkeit.

Der DPtV-Vorsitzende Best hebt hervor, dass bei älteren depressiven Patienten zu häufig Antidepressiva verschrieben werden und zu selten Psychotherapie empfohlen wird. „Ein Grund dafür ist vermutlich noch immer die vorhandene Stigmatisierung von Menschen mit psychischen Krankheiten. Aber auch die herrschenden Vorurteile von Patienten und Ärzten, dass Psychotherapie im hohen Alter nicht wirke, bestehen leider immer noch.“

Die nicht indizierte und weder mit Psychotherapeuten noch Psychiatern abgestimmte Verschreibung von Psychopharmaka stelle nicht nur ein medizinisches sondern auch ein gesamtgesellschaftliches Problem dar. Nach dem GEK-Arzneimittelreport 2009 erhält jede vierte Frau im Alter von 80 Jahren ein Antidepressivum. Bei über 65-jährigen werden sehr selten Psychotherapien durchgeführt, obwohl die hohe Wirksamkeit psychotherapeutischen Verfahren auch bei alten Menschen belegt ist.

„Den Patienten wird suggeriert, für jedes Problem gebe es eine einfache und schnelle Lösung um wieder funktionsfähig zu werden, anstatt die Auseinandersetzung mit sich selbst und ungünstigen Lebensumständen zu fördern, um Änderungen im Erleben und Verhalten und in den Lebensumständen vorzunehmen.“